Wir freuen uns, über die Fortsetzung unserer Reihe “Autor*innen im Gespräch”.
Im Interview Nr. 15 sprechen wir mit FLASHbewerb-Jurymitglied Mag. Marcus Fischer, dessen Debütroman “Die Rotte”* mit dem Rauriser Literaturpreis 2023 ausgezeichnet wurde, u. a. über folgende Themen:
- Braucht man/frau ein Germanistikstudium, um (erfolgreich) zu schreiben?
- Wie gelingt es, eine markante Schreibstimme zu entwickeln?
- Schreibprozess: Ins Blaue schreiben oder Plotten?
- Marcus größte Herausforderung bei der Umsetzung seiner Buchidee
- Die Bedeutung von Testleser*innen
- Wie Marcus sich auf Lesungen vorbereitet.
- Weshalb dir Bücher lesen beim Schreiben helfen kann.
- Was zeichnet einen guten Text für einen Schreibwettbewerb aus?
- Was hat Romanschreiben mit Wellenreiten zu tun?
Marcus, stell dich bitte unseren Leser*innen vor:
- Augenfarbe: blau. Größe: 1,89. Geburtsort: Wien.
- 1986 aus einem grauen Wien in ein garstiges Berlin gegangen, Germanistik studiert, erst als DaF-Lehrer, dann als Texter in Werbeagenturen gearbeitet.
- 2001 Rückkehr nach Wien mit meiner Lebensgefährtin und unseren zwei Kindern. Wenig geschrieben, (viel zu) viel gearbeitet.
- 2013 Auszeit und wieder zum Schreiben gefunden.
- 2015 fm4 Wortlaut gewonnen, große Freude
- 2016/17 Literaturakademie in Leonding, seither intensives Schreiben neben den Brotjobs (Redakteur, Texter, Schreibtrainer).
- 2022 erscheint „Die Rotte“*, mein erster Roman.
- 2023 gibt’s dafür den Rauriser Literaturpreis. Noch größere Freude. Im Moment schreib ich am nächsten Roman.
Wie hast du das Schreiben für dich entdeckt und wie lange schreibst du schon?
Eigentlich wollte ich Germanistik studieren, um Autor zu werden. Das hab ich nur niemandem gesagt, und auch vor mir selbst einigermaßen verheimlicht.
Ich hab während des Studiums sehr viel geschrieben, allerdings nur für die Schublade. Warum?
Unsicherheit. Perfektionismus und kaum niederschwellige Möglichkeiten, sich auszutauschen, zu veröffentlichen etc. Es gab damals außer ein paar Literaturzirkeln, in denen viel geraucht und politisiert wurde, keine „Schreibtreffs“ etc. Jedenfalls kannte ich sie nicht.
Ich überlege immer mal wieder, ob ich nicht doch noch Germanistik studieren soll. Du verfügst über ein abgeschlossenes Germanistik-Studium: Hat es deine Art zu schreiben, dein Autorenleben (positiv) beeinflusst? Und falls ja, wie?
Jein. Ich hab im Studium viele meiner damaligen Lieblingsautoren kennengelernt, die ich auch heute noch sehr schätze: Kleist, Büchner, Hörderlin, Celan, Benn, Johnson etc. Und es hat meine Art zu denken geprägt. Dafür bin ich sehr dankbar.
Andererseits hat es mir das Schreiben auch bis zu einem gewissen Grad verleidet – es gab von Uni-Seite keine Creative Writing Kurse, keine Kontakte zur Literaturszene etc. Das ist heute allerdings anders.
Aber fürs Schreiben allein würde ich nicht studieren – höchstens als Gasthörer in spannenden Seminaren.
Herzlichen Glückwunsch zum Rauriser Literaturpreis 2023, den du für deinen Debütroman „Die Rotte“* erhalten hast. Die Jury hat dir „einen sorgfältigen wie virtuosen Umgang mit der Sprache“ bescheinigt und betont, dass du für „Die Rotte“ „zu einem ganz besonderen, mündlich anmutenden Dialekt-Sound gefunden“ hast. Wie ist es dir gelungen, diese markante Schreibstimme zu entwickeln?
Die war eigentlich schon recht bald da, schon vor dem Plot. Ich hab gewusst, ich möchte über diese Welt, die ich aus meiner Kindheit kenne, schreiben. Und ich wusste auch, dass das im klassischen Erzähl-Imperfekt nicht geht.
Also hab ich ausprobiert und bin erst einmal ziemlich ins Extrem gegangen, inhaltlich wie sprachlich. Von dort aus hab ich dann langsam das „Tiafe“ zurückgefahren, bis es für mich stimmig war.
Ich hab auch versucht, den Wortschatz von damals wiederzufinden, was z.T. gar nicht einfach war. „Munter werden“ statt „Aufwachen“, „Nachtmahl“ statt „Abendbrot“, Fenster „laufen an“ statt zu „beschlagen“ etc.
Lass uns bitte über deinen Schreibprozess bei diesem Romanprojekt sprechen: Wie hast du den Schreibprozess angelegt?
Ganz ehrlich: furchtbar chaotisch. Das versuche ich beim jetzigen Projekt anders zu machen.
Ich hab sehr impulsiv/improvisierend aus einzelnen Szenen heraus geschrieben, was einerseits gut war, weil es dadurch sprachlich oft stärker wurde, aber es hat zu einem fürchterlichen Chaos geführt, weil ich eben nicht chronologisch gearbeitet haben, sondern von spontanen Impulsen aus. Jedenfalls über weite Strecke.
Das hat wie gesagt einerseits was Gutes, andererseits ist es sehr, sehr zeitaufwändig. Ich habe lange Zeit auch in Hinblick auf Figuren und Plot ins Blaue geschrieben – einerseits gut, es bringt auf schöne Ideen, andererseits … eh schon wissen.
Ich hab versucht, regelmäßig dranzubleiben, anfangs eisern mit harten Zeitvorgaben, das hat mir aber nicht gut getan, danach hab ich eine „liebvolle Disziplin“ entwickelt, mit der ich dranbleibe (im Idealfall täglich), aber mich trotzdem nicht knechte.
Was war die größte Herausforderung bei der Umsetzung deiner Buchidee und was hat dir bei diesem Schreibprojekt am meisten Spaß gemacht?
Es ist die gleiche Antwort auf beide Fragen: das Eintauchen in Szenen, das wilde Schreiben, das lustvolle Reintigern an irgendeiner Stelle, die mich gerade anspricht. Schöne Ergebnisse manchmal, aber eben auch Chaos im Großen, weil ich einzelne Puzzlesteine produziert habe ohne mich darum zu kümmern, wo sie hinpassen.
So sind im Laufe der Zeit auch zwei verschiedene Texte entstanden: ein eher handlungsgetriebener und ein sehr introvertierter aus der Innensicht der Protagonistin. Ich dachte, ich muss mich entscheiden für die eine oder andere Richtung.
Bis mir eine Freundin vorgeschlagen hat, beide Teile zu verschmelzen. Und das hab ich dann gemacht – in Form von Zwischenkapiteln, die die Innensicht zeigen.
Hast du dir für das Schreiben des Romans Unterstützung geholt, z. B. in einem Schreibworkshop, Feedback von Testleser*innen eingeholt, ein Lektorat beauftragt, Bücher zum Thema „Schreiben“ gelesen?
Ja, ich hab immer wieder Workshops gemacht, vor allem bei der Schreibwerkstatt Waldviertel in Horn, dort sind auch einzelne Szenen des Romans entstanden.
Nein, kein Lektorat, aber intensiver Austausch über längere Zeit innerhalb einer Schreibgruppe. Das hat sehr geholfen. Am Ende hab ich das ganze Manuskript zwei Testleser*innen gegeben. Das war extrem hilfreich.
Ja, gelesen, aber ich könnte nicht sagen, von welchem ich wirklich begeistert war oder welches mir geholfen hat. Hilfreich waren eher Tipps von anderen wie Freewriting oder Schreibsprints mit „Was wäre wenn“, wenn man ansteht.
Dein Roman „Die Rotte“ wurde im Leykamverlag veröffentlicht. Wie kam der Kontakt mit dem Verlag zustande? Hast du auch über Self-Publishing nachgedacht – wäre es für dich eine Option gewesen?
Tanja Raich von Leykam hab ich über eine Freundin aus einer Schreibgruppe kennengelernt – eher zufällig.
Wir hatten beide die Literaturakademie in Leonding gemacht, ich hab ihr dann einmal einen zehnseitigen Rohtext aus dem Manuskript geschickt und sie war interessiert.
Nein, Self-Publishing wäre für mich damals keine Option gewesen.
Manche Autor*innen machen gerne Lesungen, andere weniger. Du durftest „Die Rotte“ beim Literaturfest O-Töne im Museumsquartier präsentieren. Wie hast du dich darauf vorbereitet?
Auf die Lesung habe ich mich gefreut, ich lese gerne. Aber ich hatte große Angst vor dem Interview/Gespräch.
Ich bin dann zwei Wochen davor zu einer Lesung mit dem gleichen Moderator gegangen, um seine Art kennenzulernen. Dann hab ich mich wie bei einer Präsentation auf alle möglichen „Schwachpunkte“ vorbereitet – was gut war, denn die Punkte (v.a. Alter, spätes Debüt, Werbetexter) sind fast alle gekommen.
Schreibenden wird oft geraten, viel zu lesen. Wie handhabst du das? Liest du gerne/viel/wenig?
Ja, unbedingt viel, viel lesen!
Während ich in einem Schreibprojekt stecke, versuche ich immer Bücher zu lesen, die eine ähnliche Thematik haben um zu schauen, wie haben das andere gemacht. Das funktioniert nur leider nicht wirklich, weil „ähnliche Thematik“ noch immer heißt: völlig anderes Buch.
Aber ein paar Sachen kann ich schon mitnehmen, und wenns nur ist, dass ich das oder jenes sicher nicht machen möchte.
Magst du uns verraten, welches Buch du aktuell liest und/oder ein Buch empfehlen, das dich als Autor beeinflusst/geprägt hat?
Im Moment lese ich „Zenos Gewissen“* von Italo Svevo von 1924, also fast 100 Jahre alt – in dem Roman hat er sich mit der Psychoanalyse beschäftigt, die damals ja noch sehr jung war. Ich hatte gehofft, dort Antworten auf ein Problem für meinen Roman zu finden und leider nicht gefunden. Ich lese aber immer noch weiter, weil es witzig ist.
Ein Buch, das mich sehr geprägt hat, war Uwe Johnson, “Mutmaßungen über Jakob”*, von 1959. Der Roman ist spannend von der Geschichte her und faszinierend in der Form, das Geschehen wird aus mehreren Perspektiven mit unterschiedlichen Stimmen erzählt.
Du hast selbst mehrfach erfolgreich an Schreibwettbewerben teilgenommen (z. B.: 1. Platz FM4-Wortlaut 2015 mit dem Text „Wild Campen“, Siegertext beim Literatur Festival Stuttgart 2019, Anthologie zeilenlauf Wettbewerb). Hast du Tipps für unsere Leser*innen, worauf sie bei der Einreichung von Texten bei Schreibwettbewerben achten sollen? Was zeichnet, deiner Meinung nach, einen guten Wettbewerbstext aus?
Früher hätte ich gesagt, er muss schnell funktionieren, mich als Leser gleich reinziehen, der klassische Kurzgeschichten-Anfang, und das stimmt sicher auch. Andererseits faszinieren auch sperrige Texte, allerdings müssen sie dann schon sprachlich reizvoll gestaltet sein – ich denke gerade an Anna Felnhofer beim letzten Bachmann-Wettbewerb. Da wusste man recht lange nicht, worum es geht, aber die Sprache war faszinierend.
Planst du einen weiteren Roman, oder ist das aktuell (noch) kein Thema für dich?
Ja, ich plane und versuche gerade Ordnung zu machen, und zwar das eine Dokument mit 150 Seiten voller kleiner Szenen, Ideen, Tagebucheinträgen und Überlegungen in viele kleine Dokumente aufzuteilen, die dann auch einen Namen bekommen, mit dem man sie wiederfindet.
Übrigens in Scrivener, gefällt mir bist jetzt sehr gut als Chaosbändigungsprogramm.
Hast du noch eine abschließende Botschaft an unsere Leser*innen?
Romanschreiben ist wie Wellenreiten. Erst macht man sich auf den Weg, bereitet alles vor, pirscht sich an. Für einige Augenblicke ist man oben, dann ist es das Schönste auf der Welt. Aber nach dem Wellenberg kommt das Wellental. Dort bleibt man meistens viel länger als oben am Berg. Es ist wichtig, das zu wissen – für beide Positionen.
Herzlichen Dank für das Gespräch!
Weitere Folgen unserer Interviewreihe “Autor*innen im Gespräch” zum Nachlesen:
- Interview 1: Alexander Greiner: “Als ich dem Tod in die Eier trat”
- Interview 2: Klaus Rafenstein: “Der Weg zur exzellenten Führungskraft – Leuchtturm sein!”
- Interview 3: Lena Raubaum: “Die Knotenlöserin”, “Qualle im Krankenhaus”, Qualle im Tierheim”
- Interview 4: Barbara Wimmer: „Tödlicher Crash“
- Interview 5: Bardia Monshi, Mathias Berthold: “Positiv Denken allein hilft auch nicht.”
- Interview 6: Nachgefragt: Alexander Greiner (Ein Jahr nach der Buchveröffentlichung
- Interview 7: Martina Onyegbula: “Herzasche und Frauenflügel”
- Interview 8: Uwe Mauch & Karin Niederhofer:„Wie wir Oldies wischen Eine Generation lernt Handy“
- Interview 9: Katharina Werth: “Nimm mich! Beruflich durchstarten mit einer herausragenden Bewerbung”
- Interview 10: Yvonne Lacina-Blaha: “Ich liebe dich.Punkt.Trotz Ausrutscher”
- Interview 11: Raphaela Aigner: “Ausnahmsweise Kochbuch”
- Interview 12: Veronika Jungwirth und Ralph Miarka: “Agile Teams lösungsfokussiert führen”.
- Interview 13: Andrea Malfèr : “Hanni Hase”
- Interview 14: Sigrid Obermair “Lungomare. Gedichte vom Süden”
Bildquellen: Foto: © Minitta Kandlbauer, Buchcover: Leykam Verlag, Canva Treffpunkt Schreiben
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Also “liebevolle Disziplin” finde ich einen guten Ansatz. Danke für das Interview und die weiteren Leseempfehlungen.
Liebe Manuela,
herzlichen Dank für dein Feedback zum Interview.
Ich mag Marcus “liebevolle-Disziplin-Ansatz” auch sehr, insbesondere den achtsamen Aspekt dabei.
Alles Liebe
Sonja