Ich überarbeite nicht gerne. Nein, wenn ich ehrlich sein will, ist diese Aussage nicht ganz korrekt. Wenn wir von Romanen sprechen, dann muss es nämlich heißen: Ich überarbeite nicht. Ich verstecke momentan zwei Rohtexte vor mir, einen Krimi und etwas, was man als Chick-lit Roman bezeichnen könnte. Sie sind gut versteckt. Schon seit mehreren Jahren. Das ist semi-optimal. So viel ist mir klar. Aber trotzdem denke ich eher selten bis gar nicht daran, sie zu überarbeiten.
Der Krimi in der wunderhübschen Mappe
Was den Krimi betrifft, war ich beim Überarbeiten schon weiter als je zuvor. Ich war in einer Feedbackgruppe. Das war toll! Dort habe ich zu sehr vielen Textstellen aus meinem Krimi Feedback bekommen: tolles Feedback, hilfreiches Feedback. Dieses habe ich immer brav mitgeschrieben und – ganz gegen meine sonstigen Gewohnheiten – vorbildlich sortiert und abgelegt. Eingearbeitet habe ich die Rückmeldungen nie.
Ich habe mir für meinen Krimi sogar eine wunderhübsche Mappe gekauft, damit die gesammelten Texte nicht verloren gehen und nicht allzu staubig werden. Ich hoffe, die Texte fühlen sich in ihrer Behausung wohl, denn das Tageslicht haben sie schon lange nicht erblickt. Was soll ich sagen: Ich überarbeite nicht.
Warum? Das weiß ich nicht genau. Ich denke an dem Punkt, wo andere Angst davor haben, den inneren Kritiker auszuschalten, habe ich Angst davor, ihn wieder einzuschalten. Wenn ich glaube, einen Rohtext fertig zu haben, fühle ich mich toll. Dann ist schon viel geschafft. Ich müsste nur noch überarbeiten. Aber wie gehe ich das an?
Natürlich habe ich auch zum Thema Überarbeiten schon einen Workshop besucht, ich hätte also ein paar Ideen. Aber den Gedanken, dass das, was ich da geschrieben habe, doch noch weit davon entfernt ist, gut zu sein, finde ich sehr abschreckend.
Tot oder lebendig?
Vor Kurzem hab ich die online Masterclass Margaret Atwood Teaches Creative Writing besucht. Frau Atwood hatte zum Thema Überarbeiten unter anderem Folgendes zu sagen:
“There’s only one real question: Is it alive or is it dead? Anything else can be fixed.”
Margaret Atwood - MasterClass
Übersetzung: Es gibt nur eine richtige Frage: Lebt er oder ist er tot? Alles andere lässt sich beheben.
Ich denke, dieser Satz fasst meine Angst vor dem Überarbeiten ziemlich gut zusammen. Will ich wirklich, nachdem ich über 100 Seiten Rohtext geschrieben habe, herausfinden, dass der Text nicht mehr zu retten ist? Danke! Aber, nein Danke!
Der Pakt
Trotzdem, so ein Rohtext in der hübschen Mappe ist etwas, was einen nicht ganz loslässt. In unregelmäßigen Abständen denke ich mir: Vielleicht sollte ich doch? Das muss doch möglich sein! Und in so einer Situation werde ich dann unvorsichtig. So und nicht anders ist es zu erklären, dass ich folgenden kleinen Pakt mit dem Schicksal geschlossen habe.
In unserer Wettbewerbsliste habe ich die Ausschreibung für einen Postkarten-Krimiwettbewerb entdeckt. Das Konzept fand ich toll. Ein Krimi. Wenig Text. Nur eine Postkarte voll. Ja, ihr ahnt es bereits, da traue sogar ich mich über das Überarbeiten drüber. Außerdem konnte man als 1. Preis ein Textcoaching bei Ana Znidar von CREATIVE WRITING A – Z gewinnen. Ana kenne ich schon länger, habe einige Workshops bei ihr besucht und mir gedacht: Da mach ich mit und falls ich gewinne, dann nutze ich das Coaching, um meinen Krimi fertigzumachen.
Also habe ich mitgemacht und (wie es der Zufall so will) zum ersten Mal in meinem Leben bei einem Schreibwettbewerb gewonnen. Damit hatte ich nicht gerechnet. Und jetzt habe ich ein Problem. Denn für alle, die nicht wissen, was ein Zeichen ist. DAS ist ein Zeichen. Mit so einem Zeichen des Schicksals blödelt man aus meiner Sicht besser nicht herum. Und somit war es beschlossene Sache: Den Krimi überarbeite ich jetzt.
Um dem Ganzen noch mehr Verbindlichkeit zu geben, habe ich mit Sonja vereinbart, dass ich über meine Erfahrungen beim Überarbeiten auf Treffpunkt Schreiben blogge. Dann wissen alle (die es wollen) über meine Fortschritte Bescheid. Noch ein Pakt. Wenn schon, dann richtig. Schwitz.
Hallo Ana! Ich habe einen Rohtext.
Der erste Schritt war dann auch noch relativ einfach. Sie hat die hübsche Mappe herausgeholt, werden jetzt sicher viele denken. Falsch gedacht. Wer will dem eigenen Rohtext denn zu schnell zu nahe kommen. Ich nicht. Ich habe einfach mal Ana angerufen.
Am Telefon haben wir uns beide noch mal darüber gefreut, dass ich den Postkarten-Krimiwettbewerb gewonnen habe, und dann hat Ana gesagt:
– „Hast du ein Projekt? Weißt du was du im Coaching machen willst?“
– „Ja, ich habe einen Rohtext zu einem Krimi und den will ich überarbeiten?“
– „Wie weit ist denn der Rohtext?“
– „Na ein Rohtext vom Krimi, ich hab den ganzen Krimi als Rohtext.“
– „Wie viel Seiten sind es denn? 30? 100? 300?“
– [Shit, das sollte ich definitiv wissen] „Also über 100 sind es schon.“ [Hoffentlich!]
Meine erste wichtige Erkenntnis kam also in Minute 5 des Telefonats. Wenn du überarbeiten willst, wäre es ganz gut, wenn du zumindest weißt, wie viele Seiten Rohtext du hast. Hat der Text schon eine Ordnung oder sind es wilde Szenenschnipsel? Glaubst du, dass die ganze Geschichte auf dem Papier ist oder fehlen wichtige Teile? Wie roh ist er denn der Rohtext?
Ich habe mit Ana vereinbart, dass ich ihr meinen Rohtext schicke, damit sie sich einen Eindruck verschaffen kann und dann, wenn sie ein bisschen gelesen hat, treffen wir uns. Klingt nach einem Plan.
Habe ich doch keinen Rohtext!?
Natürlich wollte ich Ana nicht die hübsche Mappe per Post schicken, sondern die elektronische Version des Rohtextes. Überraschenderweise habe ich die Datei relativ schnell gefunden. In meiner Erinnerung war der Text, was die Szenen betrifft, vollständig und schon in eine erste Struktur gebracht.
Leider habe ich den Fehler gemacht in den Text vor dem Versenden noch einmal hineinzulesen. Dabei bin draufgekommen, dass der Text weder vollständig (Ups! Hab ich doch nicht alles abgetippt.) noch in einer nachvollziehbaren Reihenfolge ist (Die Szene mit dem Leichenfund hat es irgendwie ganz ans Ende des Dokuments geschafft). Es stellte sich mir als die Frage: Habe ich überhaupt einen Rohtext?
Eigentlich wollte ich die Datei sofort mailen. Es hat dann aber fast zwei Wochen gedauert. Ich war kurz davor abzubrechen. “Sorry Ana, ich hab doch keinen Rohtext.” Dann hab ich mich entschlossen für Ana kurz zusammenzufassen, wo in den 110 Seiten (Ja, das weiß ich jetzt ) die wichtigsten Szenen zu finden sind. Das hat mir Mut gemacht. Das Grundgerüst des Krimis ist da. Erleichterung. Ich habe einen Rohtext.
Stellt sich nur noch eine wichtige Frage: Ist er tot oder lebendig?
Aus meiner Sicht kommt das Thema Überarbeiten bei Schreibworkshops und auch in Schreibratgebern immer ein bisschen zu kurz. Habt ihr vielleicht einen Tipp für mich? Wo gibt es den besten Überarbeitungsworkshop? Welches Buch sollte ich auf meinem Weg zum überarbeiteten Krimi unbedingt lesen? Schreibt mir einen Kommentar. 🙏
Meine nächsten Schritte zum fertigen Krimi, kannst du in der Folge 2: “Ich brauche Struktur!” lesen.
Du willst keinen Beitrag versäumen? Wir informieren dich gerne, sobald ein neuer Beitrag online ist: Ja, ich will den Blog abonnieren.
Liebe Veronika, ich finde ich mich in deinem Blogpost sehr, sehr, sehr wieder und bin unendlich froh, dass du dich dieses Themas hier am Blog (und in Bezug auf deinen Krimi) annimmst … ich freue mich auf die Reise mit dir und deinem Krimi – noch bin ich nicht bereit, mich deinem Pakt anzuschließen, aber was nicht ist, kann ja noch werden ;-)! Du hast in mir jedenfalls eine begeisterte Leserin und “followerin”! 😀 Und liebe Grüße an Ana!
Sabine
Liebe Sabine,
das klingt wie Musik in meinen Ohren :-). Ich fühle mich als Nicht-Überarbeiterin manchmal sehr “alleine”. Da ist es ein eine große Hilfe, wenn ich höre, dass du das was ich geschrieben habe auch gut nachvollziehen kannst. Ich freu mich sehr, wenn du mich bei meinem Projekt lesend begleitest. Das motiviert zusätzlich. Natürlich bin ich neugierig. Aus deinem Kommentar lese ich heraus, dass es bei dir auch einen Rohtext gibt, der auf seine Überarbeitung wartet. Würdest du mir verraten was in deiner “wunderhübschen Mappe” versteckt ist? ;-). Ich verstehe aber auch total, wenn du das lieber für dich behalten willst. Die Grüße an Ana leite ich gerne weiter. Alles Liebe
Veronika
Liebe Veronika,
ja, es ist tatsächlich bei mir (auch?) so, dass ich eine großartige, motivierte und auch vielschreibende Rohtext-Produzentin bin (Blogposts für einen lange geplanten Blog auf einer ebenso lange geplanten Website; mehrere halbfertige Romane & Krimis, zahllose Rohversionen von essays und mindestens zwei Sachbücher, ganz abgesehen von Fragmenten, die sich in meinen journals befinden und darauf warten, überarbeitet und ausgearbeitet zu werden) … von alledem gibt es ganz viel sowohl handschriftlich als auch an den verschiedensten Stellen auf (ich gestehe es) diversen Festplatten.
Das heißt aber auch, dass in meiner “wunderhübschen” Mappe vieles versteckt ist, in unterschiedlichen Fertigstellungsgraden (einiges davon hat noch nicht mal den Status “fertiger Rohtext”), aber vor allem ein (“fertiger”) Rohtext zu einem Schreibratgeber und ein halbausgereifter Krimi. Und eben ganz viele Blogposts für eine Website, die es noch nicht gibt … die aber vielleicht schneller das Licht der Welt erblicken würde, wenn es posting-fähige Blogposts gäbe … was aber auch ein Zirkelschluss sein könnte 😉 …
Jedenfalls werde ich deine “Reise” in der Überarbeitung gespannt verfolgen und dies gleichzeitig zum Anlass nehmen, auch mal wieder meine eigenen Texte “her zu nehmen” … DANKE jedenfalls für deinen Post und deinen Pakt! Ich bin gespannt! Alles Liebe, Sabine
Wow!!! Du bist eine extrem produktive Rohtextschreiberin. Das ist ja toll. Danke für diesen Einblick in dein Schreiben und die “Reisebegleitung”. Ich habe das Gefühl es könnte eine längere Expedition werden ;-).
Alles Liebe, Veronika
Liebe Veronika, liebe Überarbeiter*innen,
ich habe im Programm der Frankfurter Buchmesse (online) folgende Veranstaltung gefunden, die für euch interessant sein könnte:
Titel: Überarbeiten? Au ja! Aber mit Spaß und System! (Jurenka Jurk, Schreibfluss)
Wann: 14.10.2020/ 20:00 Uhr (online)
Teilnahme: kostenlos
Link: https://catalog.services.book-fair.com/de/veranstaltungen/tagesuebersicht/veranstaltung/eventcalendar_controller/Eventcalendar/eventcalendar_action/detail/eventcalendar_objID/770/
Viel Spaß!
Sonja
Hallo Veronika,
nach unserem Online-Zusammentreffen war ich doch neugierig auf die Geschichte von dir und deinem Krimi. Zum Thema Überarbeiten habe ich mal ein paar Sachen für mein Blog zusammengesucht:
Isa Schikorsky: Aus dem Lektorat, booksondemand – hiervon gibt es verschiedene Ausgaben:
1: 50 Tipps zum Schreiben und Veröffentlichen aus 2009, ISBN 978-3837035551, Taschenbuch 10 Euro
2: 50 neue Tipps zum Schreiben und Veröffentlichen aus 2018, ISBN 978-3752820089, Taschenbuch 10 Euro
1 und 2 aus 2018: 978-3752820881, Taschenbuch 12,90 Euro
David Michael Kaplan: Die Überarbeitung: Wie Geschichten packender, Charaktere plastischer, Dialoge stärker und Beschreibungen anschaulicher werden, Zweitausendeins, ISBN 978-3861504436, nur noch gebraucht erhältlich
Silvia Englert: So lektorieren Sie Ihre Texte. Verbessern durch Überarbeiten: Schritt für Schritt von der Erstfassung zum fertigen Manuskript, Autorenhaus Verlag 2013, ISBN: 978-3866711051, Taschenbuch 14,95 Euro
Hans Peter Roentgen: Beim Autorennewsletter „The Tempest“ veröffentlicht er regelmäßig Beispiellektorate (https://www.autorenforum.de/the-tempest) und in seinen Bücher stellt er ebenfalls Beispiele vor, aus denen man lernen kann:
Was dem Lektorat auffällt, Sieben Verlag 2019, ISBN 978-3864438752, print 12,90 Euro
Vier Seiten für ein Halleluja, Sieben Verlag 2008, ISBN 978-3940235367, Taschenbuch 12,90 Euro
http://www.andreaseschbach.de/schreiben/10punkte/10punkte.html – Plan von Autor Andreas Eschbach, nach dem er im letzten Schritt seine Texte sprachlich überarbeitet
Und mein Blogbeitrag:
https://www.skriving.de/wordpress/selbstlektorat-wie-ueberarbeite-ich-meine-eigenen-texte/
Vielleicht hilft dir davon was weiter? Ich habe für mich allerdings eher kleinteilige Dinge aufgelistet, weil ich oft den Eindruck habe, dass Schreibende da viel mehr Vorarbeit leisten könnten, bevor sie ihre Text zu einem Lektorat rausgeben. Aber die ersten Schritte – vom Rohtext zur “richtigen” Erstfassung – das wäre mal ein Thema …
Viele Grüße
Maike
Liebe Maike, vielen, vielen Dank für die zahlreichen Tipps und Hinweise. :-). Da ist wirklich einiges dabei, das ich noch nicht kenne. Ich freu mich schon auf die Lektüre. Alles Liebe Veronika