Ich habe meine Diplomarbeit innerhalb von 6 Monaten geschrieben. Ich bin ganz ehrlich, das war keine schöne Zeit. Es gab Phasen, da war ich sehr, sehr schlecht drauf und sicher, dass ich mein Studium nicht abschließen werde. Ich habe mich von Fertigpizza ernährt und meine Wohnung nur verlassen, wenn keine Pizza mehr da war oder mich besorgte Freundinnen zum sozialen Kontakt „gezwungen“ haben. Meine Mutter stand regelmäßig vor ihrer bleichgesichtigen Tochter und murmelte „Du schaffst das. Du wirst das schaffen.“ Ich bin mir nicht sicher, ob dieses Mantra nur mir helfen sollte oder auch ihr Zuversicht gab. Kurz: Es war kein Zuckerschlecken. Allerdings nicht nur für mich, sondern auch für einige Menschen rund um mich herum, ohne deren Unterstützung ich vielleicht tatsächlich aufgegeben hätte.
Ein Hoch auf die Heimtribüne: “Fans” sind wichtig für den Schreiberfolg
Während oft darüber geschrieben wird, dass man sich beim Schreiben, einer Tätigkeit, die einsam sein kann, doch bitte Gleichgesinnte suchen soll, (Ja, auch ich habe den Tipp hier schon gegeben :-)) wird das nicht-schreibende Umfeld in den wenigsten Fällen erwähnt. Das einzige Buch, das ich kenne, in dem diese wertvolle Ressource angesprochen wird, ist Chris Batys No Plot ?No Problem*. „Filling the Home Team Bleacher“ [Die Heimtribüne füllen] heißt das Kapitel sehr treffend, in dem es darum geht Freunde, Eltern, KollegInnen, Partner/Partnerin, Kinder – kurz sein Umfeld – zur hilfreichen Ressource für das eigene Schreibprojekt zu machen. Und er hat so recht. Wie im Sport ist auch beim Schreiben die Fan-Unterstützung wichtig. Außerdem ist es gerade dieses nahe Umfeld, das am meisten vom Schreibprojekt betroffen ist.
Because these are also the people most likely to be affected by your writing-inspired mood swings, your possible shortages of free time, and your substantially diministhed regard for cleanliness [...]
Chris Baty (No Plot? No Problem)
9 Tipps für SchreibunterstützerInnen an der Seitenlinie
Wenn du also gerade bei deinem Freund/deiner Freundin, deinem Sohn/deiner Tochter, deinem Kollegen/deiner Kollegin, deinem Partner/deiner Partnerin oder sonst jemandem, der dir wichtig ist, an der Schreib-Seitenlinie stehst (und kurz davor bist die Nerven wegzuschmeißen).
Wisse: Dein Einsatz ist wichtig. Deine Unterstützung zählt.
Jetzt fragst du dich aber vielleicht: Was bitte, soll ich denn machen und was lieber nicht? Wird meine Unterstützung überhaupt gewollt?
Hier meine 9 Tipps für die (manchmal nicht so einfache) Begleitung von Schreibenden durch ihr (vor)wissenschaftliches Schreibprojekt.
1. „Ich brauche deine Hilfe!“ – Willkommen in der Fan-Gemeinde
Anders als beim Sport entscheidet man sich in der Regel nicht Teil der Fan-Gemeinde eines/einer Schreibenden zu werden. Mann/Frau wird dazu gemacht. Von wem? Von dem/der SchreiberIn selbst. Aus meiner Sicht gilt: Wirst du aktiv über das Schreibprojekt und die möglichen Auswirkungen informiert oder direkt um Hilfe gebeten „Ich komm nicht weiter, ich weiß überhaupt nicht, was ich machen soll!“, bist du dabei. Du bist Teil des Support-Teams. Du wurdest auserwählt. In diesem Fall ist die Antwort auf die Frage: Wird meine Unterstützung überhaupt gewollt? JA!
Hast du aber zum Beispiel nur von einer Freundin gehört, dass eure gemeinsame Studienkollegin deshalb seit Wochen nicht mehr auf der Bildfläche erschienen ist, weil sie nur noch bleichgesichtig und mies gelaunt in der Bibliothek sitzt, besteht aus meiner Sicht kein zwingender Handlungsbedarf. Du kannst selbstverständlich Unterstützung anbieten, darfst aber über eine mögliche genervte Zurückweisung nicht verärgert sein.
Wichtig für Fans: Nein, selbst wenn du schon eine Dissertation geschrieben oder schon drei Romane veröffentlicht hast, wenn du aktuell nicht an einem Schreibprojekt arbeitest, hast du keine Ahnung, wie es sich anfühlt. Du weißt es nicht! Aus diesem Grund sollte keiner deiner Sätze in folgende Richtung gehen: „Du könntest doch einfach XY.“ „Warum machst du nicht einfach XY?“ Es ist nämlich (oft) nicht einfach oder zumindest fühlt es sich nicht so an.
Für alle, die mir noch nicht glauben wollen, dass so eine (vor)wissenschaftliche Arbeit schwierig zu schreiben ist, hier ein Zitat des Schreibforschers Otto Kruse:
Das Schreiben eines wissenschaftlichen Textes erfordert Fähigkeiten von einer schwer vorstellbaren Komplexität. Logische, semantische, grammatikalische, motorische und kommunikative Fähigkeiten müssen zusammentreffen, um einen Schreibfluss zu erzeugen, der zu einem konsistenten Text führt.
Otto Kruse (Keine Angst vor dem leeren Blatt)
2. Mach Druck! Mach keinen Druck!
Das mit dem Druck machen ist so eine Sache. Die Arbeit selbst erzeugt nämlich schon viel Druck. Da gibt es vielleicht eine/n übermotivierte BetreuerIn oder eine Forschungsmethode, die aktuell schwierig umzusetzen ist oder ein Thema, das einem zwischen den Fingern zerbröselt oder eine Menge andere Dinge, die stressen können. Auf der anderen Seite brauchen manche SchreiberInnen aber genau das, jemanden der sie in regelmäßigen Abständen danach fragt, wie weit sie schon sind. Jemanden der Anreize schafft: „Wenn du das Kapitel heute noch abschließt, miste ich die nächsten zwei Wochen den Hamsterkäfig aus.“
Meine Daumenregel: Hat der/die Schreibende eine fixe, unumstößliche Deadline? Wenn ja, dann ist das Druck genug. Wenn du nicht konkret dazu aufgefordert wirst „zu motivieren“, dann fokussiere dich auf andere Unterstützungsmaßnahmen. Gibt es keine Deadline, dann bist du gefragt. Mach Druck, schaffe Anreize! Sei die Deadline 🙂
3. Zeig Interesse
Auch wenn es manchmal schwierig ist, weil du vielleicht mit einem „es ist kompliziert“ abgespeist wirst oder du mit dem Thema wirklich nichts anfangen kannst, bleib dran, zeig Interesse.
Es ist für Schreibende hilfreich anderen zu erklären, worum es in der eigenen Arbeit geht. Auch wenn es „dein/e“ Schreibende/r anfangs nicht glaubt, mit den Augen rollt und sich nur mit einem genervten Schnaufen zu einem Erklärungsversuch herablässt. Lass dich davon nicht abschrecken. Einen echten Fan, erkennt man erst in schwierigen Zeiten.
Bitte bleib auch dann interessiert, wenn du zum gefühlt tausendsten Mal erzählt bekommst, wie schwierig es ist die passenden InterviewparterInnen zu finden/Zeit im Labor zu bekommen/mit dem/der BetreuerIn das Thema abzustimmen/ etc. Über den eigenen Forschungsprozess zu reden hilft immens und jemanden zu finden, der einem (noch) zuhört, ist oft gar nicht so einfach. 😉
Beim Interesse zeigen und zuhören, gilt aus meiner Sicht: Mehr Fragen, weniger beraten. Eine offene Frage (z. B. Wieso ist das gerade so schwierig? Welche anderen Möglichkeiten hättest du noch?) hilft mir in solchen Situationen oft mehr als ein konkreter Tipp. Der lässt sich nämlich schnell abwinken: „Schon probiert. Funktioniert bei mir/meinem Thema nicht!“
4. Verschaffe Zeit zum Schreiben
In einer Schreibphase ist man/frau dankbar für alle Alltagstätigkeiten, die von jemand anderem aus dem Weg geräumt werden. Einkaufen, Wäsche waschen, Essen kochen, wo immer du für mehr Schreibzeit sorgen kannst, tu es. Es sind nämlich gerade diese Tätigkeiten, die einen einladen, das Schreiben aufzuschieben. Das klingt dann in etwa so: „Ich kann noch nicht anfangen, ich muss erst die Wäsche aufhängen.“ So einem Aufschiebeversuch, kann man leicht den Wind aus den Segeln nehmen: „Kein Problem. Setz dich hin, arbeite weiter! Ich kann das für dich übernehmen.“
Manchmal sind gerade diese Tätigkeiten aber auch ein Anreiz mit dem Schreiben anzufangen: „Bevor ich den Rasen mähe, mache ich doch lieber die Literaturrecherche für das nächste Kapitel.“ Wenn also deine WG-MitbewohnerIn, dir geschworen hat, heute noch die Küche aufzuräumen, einen Tag lang frustriert Netflix-Serien geschaut hat und jetzt (wo sich das Aufräumen gar nicht mehr aufschieben lässt), plötzlich anfängt an ihrer BA-Arbeit zu schreiben, unterbrich sie bitte nicht. Bleib gelassen! Leg ihr einen Zettel zur Zahnbürste, der sie daran erinnert vor dem ins Bett gehen, bitte die Küche aufzuräume
5. Ich ruf dich nicht an, ruf du mich an.
Wer gerade an seiner Vorwissenschaftlichen- , Bachelor- oder Master-Arbeit schreibt und nebenbei noch ein Semester abschließen oder zum Beispiel arbeiten soll, hat wenig Kraft soziale Kontakte aufrecht zu erhalten. Du bist im Schreibsupport-Team und hast schon wochenlang nichts von dem/der Schreibenden gehört? Werde aktiv! Dabei gilt:
- Wenn der/die Schreibenden sagt, sie hat keine Zeit, weil er/sie schreiben muss, akzeptiere das.
- Mach einen Vorschlag für ein Treffen und stimme jedem Gegenvorschlag bereitwillig zu. (Manchmal will man/frau nach einem anstrengenden Tag nur noch ins Kino. Manchmal ist man/frau nach einer Woche in der Bibliothek aber auch sozial ausgehungert und möchte sich gerne stundenlang unterhalten.)
- Sei darauf gefasst, dass sich eure Pläne ständig ändern können. Wenn der/die Schreibende kurzfristig absagt, weil er/sie gerade im Schreibflow ist, sein/ihr Betreuer gerade jetzt für ihn/sie Zeit hat, etc., dann nimm es ihm/ihr nicht übel.
6. Mentale Unterstützung: Emotionen sind okay
Auch wenn man/frau am objektivsten Text der Welt schreibt, beim Schreiben kommen Emotionen auf. Es gibt während eines größeren Schreibprojektes emotionale Höhen und Tiefen – eine Achterbahnfahrt. Das ist normal. Das ist okay. Eine amüsante Erklärung zu möglichen Gemütszuständen während des Schreibens findest du in unserem Interview mit der Autorin Lena Raubaum (Frage 4). Lies einfach mal rein.
Wer diese Achterbahnfahrt (vielleicht zum ersten Mal) am eigenen Leib miterlebt, fragt sich schnell, ob er/sie vielleicht was falsch macht oder ob er/sie jetzt dem Schreibwahnsinn komplett verfallen ist.
Für die Fan-Gemeinde gilt in emotionalen Schreibsituationen: Cool bleiben. Bestärken: Emotionen gehören zum Schreiben dazu. Du machst nichts falsch. „Lies doch mal dieses Interview auf Treffpunkt Schreiben mit der Autorin, die kennt das auch“. ;-).
Versuche das Schreibprojekt wieder auf den Boden der Tatsachen zu holen: „Es ist deine Master-Arbeit, sie muss „nur“ positiv beurteilt werden, du wirst sie abgeben, dein Studium abschließen, das Leben wird weitergehen.“
7. Mantra: Nur wer spielt/schreibt gewinnt!
Es gibt aus meiner Sicht einen essenziellen Tipp, einen wichtigen Ratschlag, der viel verändern kann und den Schreibende immer wieder vergessen: Nur wer schreibt, gewinnt! Für eine fertige VWA, BA-Arbeit oder MA-Arbeit braucht man/frau eines: TEXT. Dabei ist es im ersten Schritt komplett egal, wie gut dieser Text ist. Er kann schlecht sein, absoluter Müll, kaum nachvollziehbar, aber solange man/frau keinen Text hat, kommst er/sie auch nicht weiter. Erst vorhandener Text lässt sich überarbeiten, lässt sich besser machen, lässt das Ziel näher kommen.
Diesen einen Tipp, solltest du als Teil der Fan-Gemeinde mantra-artig wiederholen. „Schreib es auf! Schreib es einfach mal hin! Im ersten Schritt geht es nur darum, die Gedanken zu Papier zu bringen!“
Es ist oft ein zu hoher Qualitätsanspruch, der uns davon abhält überhaupt mit dem Schreiben zu starten. Hilf dabei, diesen Qualitätsanspruch im ersten Schritt hinten anzustellen. Denn nur wer schreibt, gewinnt!
8. Vergiss nicht, du kannst nicht mitspielen!
An der Seitenlinie kannst du schnell das Gefühl bekommen in das Spiel „hineingezogen“ zu werden. Vergiss daher nicht: Du kannst nicht mitspielen! Es ist dein Freund, deine Partnerin, dein Sohn, deine Kollegin, der/die ihre Arbeit schreiben muss. Das kannst du nicht für ihn/sie tun und du bist auch nicht dafür verantwortlich, dass er/sie schreibt. Du unterstützt. Du feuerst an. Mehr ist nicht möglich.
Wichtig ist auch, dass du weißt, dass jeder Spieler, jede Spielerin an dem ein oder anderen Punkt vom Spiel frustriert ist. Schreiben ist anstrengend, manchmal läuft es nicht so, wie man es sich wünscht oder vorgestellt hat. Die Wut/Frustration des/der Schreibenden bezieht sich auf den Schreibprozess, nicht auf dich. Auch, wenn er/sie es vielleicht gerade anders aussehen lässt.
9. Sei da, um Erfolge zu feiern
Das waren sie meine Empfehlungen für alle an der Seitenlinie. Zum Abschluss noch ein
(Buch)TIPP:
Wer auf der Suche nach einem Buch ist, dass einen kurzen und aufschlussreichen Einblick gibt, in die Welt des Schreibens, dem sei Anne Lamotts Buch Bird by Bird* ans Herz gelegt. Darin findest du auch das Konzept des „shitty first draft“, also der Idee einmal einen – noch so schlechten – Rohentwurf aufs Papier zu bringen und sich erst im nächsten Überarbeitungsschritt um die Qualität zu kümmern. Eine echte Leseempfehlung auch für alle Schreib-UnterstützerInnen.
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Bildquelle: Canva; Martin Tajmr, Pixabay; Keith Johnston, Pixabay; Treffpunkt Schreiben
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“Sei die Deadline” – super Satz! 👍🏻Und wieder ein schöner Beitrag, danke dafür!
Liebe Manuela,
herzlichen Dank für dein positives Feedback zum Satz 😉 und Beitrag!
Wir freuen uns sehr darüber, hab’ noch einen schönen Sonntag!
Liebe Grüße, Veronika und Sonja